Moving Cities
Über die Stadt

Barcelona

Die stärkste ‘Solidarity’-Stadt in Spanien und Europa.

Wichtigste Erkenntnisse

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    Eine enge Zusammenarbeit zwischen Stadtverwaltung und Zivilgesellschaft bei der Entwicklung des ‘Barcelona, Refuge City’-Plans. Das Konzeptpapier verbindet konkrete Maßnahmen zur Bereitstellung notwendiger Dienstleistungen mit dem Anliegen, die Rechte von Geflüchteten zu schützen.

  • 2

    Aktive Vernetzung mit anderen spanischen Städten im Rahmen des Netzwerks ‘Ciudades Refugio’ sowie mit vielen europäischen ‘Solidarity Cities’

Was ist das Besondere an der Stadt?

Kommunales Vorbild seit 2015: Seit dem Sieg der lokalen Bewegung ‘Barcelona en Comú’ (BComú) bei den Kommunalwahlen 2015 gilt Barcelona als eine der wichtigsten ‘Solidarity-Städte’ in Spanien und Europa. Barcelonas Stadtpolitik ist Initiator, Vorbild und Diskursmarker für kommunale Pro-Migrationspolitik. Der Plan ‘Barcelona, Refuge City’ bündelt konkrete Maßnahmen, um die Stadt auf die Aufnahme und Betreuung von Geflüchteten vorzubereiten, notwendige Dienstleistungen bereitzustellen und die Rechte von Geflüchteten zu garantieren.

Wo liegt der Schwerpunkt der lokalen Migrationspolitik?

Ein kohärentes Aufnahmeprogramm: Das städtische Aufnahmeprogramm ‘Nausica’ steht im Mittelpunkt der lokalen Solidaritätspolitik Barcelonas und bildet das Herzstück des Plans ‘Barcelona, Refuge City’. Ein zweiter Schwerpunkt der Solidaritätspolitik ist das ‘Documento de Vecindad’, eine Art kommunaler Ausweis, der für Menschen ohne Papiere entwickelt wurde.

Was sind die Schlüsselfaktoren?

Innovative Verwaltung trifft auf lokalen Aktivismus: Als der Stadtrat von ‘Barcelona en Comú’ (Bcomú) im Frühjahr 2015 sein Amt antrat, erhob er Migration zu einem zentralen Thema der Stadtpolitik. Das gesamte Wahlprogramm 2015 enthält eine Reihe konkreter Vorschläge zu den Themen Migration und Flucht. Ein weiterer wichtiger Faktor ist die enge Zusammenarbeit zwischen der Stadtverwaltung und lokalen zivilgesellschaftlichen Initiativen bei der Gestaltung der Migrationspolitik.

Mit dem kommunalen Regierungswechsel im Juni 2023 wird sich die grundsätzlich progressive Haltung des Stadtrats zur Migrationspolitik voraussichtlich kaum verändern. Der neu ernannte Bürgermeister Jaume Collboni (PSOE - sozialistische Partei Kataloniens) steht allerdings eher für Pragmatismus als Aktivismus. Die ehemalige Bürgermeisterin Ada Colau wird mit ihrer Partei ‘Barcelona en Comú’ aus der Opposition um den Fortbestand ihrer bisherigen politischen Errungenschaften kämpfen.

Politische Arbeit über die lokale Ebene hinaus

Die Stadt Barcelona ist seit vielen Jahren Mitglied unterschiedlicher Städtenetzwerke innerhalb der EU-Institutionen. 2015 initiierte die Bürgermeisterin Ada Colau das spanische Netzwerk der solidarischen Städte - die ‘Ciudades Refugio’ - und übernahm die Leitung. Colau und die Stadtverwaltung arbeiteten außerdem an der Einbindung Barcelonas in weitere europäische und internationale Netzwerke.

Mitglied folgender Netzwerke

©ThomasLendt; wikimedia commons

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Der Stadtreport enthält weitere Informationen über die Migrations- und Integrationspolitik der Stadt sowie ausgewählte lokale Ansätze. Report aus dem Jahr 2021, aktualisiert im Jahr 2023.

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Politischer Kontext - Spanien

Wie ist die Migrationspolitik in Spanien organisiert?

Die Steuerung der Migration erfolgt in Spanien auf mehreren Ebenen: Die nationale Ebene ist für die Einwanderung, Auswanderung, den Status von Ausländer:innen und das Asylrecht zuständig. Dennoch beeinflussen auch die Regionen und Städte die Inklusionspolitiken und die Aufnahme von Zuwanderern, da sie beispielsweise über den Zugang zu öffentlichem Wohnraum, Berufsausbildung und Gesundheit entscheiden. Die Städte registrieren alle Einwohner:innen, unabhängig von ihrem administrativen Status. Die Registrierung ermöglicht den Zugang zu grundlegendsten Dienstleistungen wie Gesundheit, Bildung und anderen Verwaltungsverfahren. Das Thema Migration ist also auch kommunalpolitisch von großer Relevanz.

Aus der Mischung von nationaler und regionaler Zuständigkeit ergeben sich viele Dysfunktionalitäten des spanischen Asylsystems. Planung und Regulierung sind stark zentralisiert, während NGOs, Wohlfahrtsverbände und lokale Behörden die Politik ohne koordinierende Strukturen umsetzen müssen. In Barcelona und Madrid, beides wichtige Aufnahmezentren für schutzsuchende Personen, tritt dieser Umstand besonders deutlich hervor.

Was ist der historische Hintergrund?

Als ehemalige Kolonialmacht blickt Spanien auf eine lange Auswanderungsgeschichte zurück. Durch den Wirtschaftsboom in den späten 1990er und frühen 2000er Jahren entwickelte sich die Nation zu einem Einwanderungsland. Während in den 1990er Jahren nur 1 % der Bevölkerung im Ausland geboren wurde, stieg diese Zahl bis 2010 auf 12,2 %. Doch erst nach der ‘europäischen Flüchtlingskrise’ im Jahr 2015 wandelte sich Spanien zu einem echten Zielland für Geflüchtete: Gingen in den Behörden 2014 nur 5.947 Asylanträge ein, waren es 2019 bereits 118.264. Die Schutzsuchenden kommen hauptsächlich aus Venezuela, Kolumbien und Honduras.

Spanien verabschiedete 1980 sein erstes Asylgesetz und 1985 das erste Ausländergesetz, im Rahmen seines EU-Beitritts ein Jahr später. Zu dieser Zeit wanderten jedoch nur wenige Menschen in das Land ein. Als sich Spanien in den 1990er Jahren zu einem attraktiveren Ziel für internationale Migrant:innen entwickelte, kam es zu umfassenderen legislativen Anpassungen: 1994 erschwerte ein neues Asylgesetz die Anerkennung des Flüchtlingsstatus. Zu Beginn des neuen Jahrtausends verabschiedete das Land ein zweites Migrationsgesetz. Es regulierte den Zugang zum Arbeitsmarkt und gestand allen im Land lebenden Migrant:innen Gesundheits-, Bildungs- und Sozialleistungen zu. Die Differenzierung zwischen Migrant:innen mit und ohne regulären Verwaltungsstatus führte jedoch zu Einschränkungen der sozialen und politischen Rechte einiger Gruppen. Ein weiteres Migrationsgesetz im Jahr 2003 erhöhte die Visumspflicht und erweiterte die Möglichkeiten, Migrant:innen ohne Papiere zu inhaftieren. Das jüngste Gesetz aus dem Jahr 2009 zielt darauf ab, die Migrationsströme so zu organisieren, dass sie dem Bedarf des Arbeitsmarktes entsprechen. Im selben Jahr erarbeitete die Regierung das dritte Asylgesetz. Es folgt weniger strenge Kriterien für die Gewährleistung von internationalem Schutz als das vorherige, die Umsetzung stellt jedoch aufgrund unklarer Richtlinien eine Herausforderung dar.

Was sind die wichtigsten Entwicklungen der letzten Jahre?

Die wirtschaftliche Rezession wirkte sich äußerst belastend auf die Situation von Migrant:innen im Land aus. Besonders hart traf der Abschwung die ‘irregulären’ Migrant:innen. Im Jahr 2012 schloss die konservative Regierung Migrant:innen ohne Papiere zusätzlich von der Gesundheitsversorgung aus. Die neue sozialistische Regierung hob diese Einschränkung im Jahr 2018 wieder auf. Neue Staatsangehörigkeitsgesetze verlangen neuerdings einen bestandenen Sprachtest von Nicht-Muttersprachler:innen und einen Geschichtstest von allen Antragssteller:innen. Die rechtsextreme Vox-Partei entwickelte sich zwischen 2018 und 2019 zu einer erfolgreichen Wahlkandidatin: Die Partei zog in mehrere Regionalregierungen ein und holte 52 Sitze (von 350) im spanischen Parlament. Ihr einwanderungsfeindlicher Kurs beeinflusst weiterhin die spanischen Migrationsdebatten.

Was haben progressive Kampagnen erreicht?

Die spanische Bewegung für solidarische Städte prangerte Mängel des spanischen Asylsystems an und forderte, dass zukünftig die Städte und nicht die Nationalregierung über die Aufnahme von Geflüchteten entscheiden sollten. Dafür verlangten sie zusätzliche finanzielle Mittel. Auf Demonstrationen 2015 und 2016 bekräftigten Basisorganisationen und Stadtbürger:innen in ganz Spanien diese Forderung gegenüber der Regierung. In den Städten und Gemeinden bildeten sich Freiwilligen-Netzwerke zur Aufnahme von Geflüchteten und die Bürgermeister:innen der spanischen Städte gründeten das Spanische Netzwerk für Flüchtlingsstädte. Das ‘Refuge City Network’ setzt sich für mehr Befugnisse und Finanzmittel auf kommunaler Ebene ein, da den meisten Grundbedürfnisse von Geflüchteten, wie Unterkunft, Ausbildung, Sprachkurse usw., lokal begegnet wird.