Überdurchschnittlich hohe Inklusion von Geflüchteten in den Arbeitsmarkt: Tilburg verbesserte die lokalen Inklusionsmaßnahmen mit dem experimentellen Pilotprogramm ‘Sprache, Orientierung und Teilhabe’ (TOP). Infolge des Programms liegen die Arbeitsmarkt- und Bildungsbeteiligung von Geflüchteten in Tilburg weit über dem nationalen Durchschnitt. Das nationale Ministerium übernahm mehrere dieser Maßnahmen und integrierte sie in das neue niederländische Integrationsgesetz, welches am 01. Januar 2022 in Kraft trat.
Tilburgs Beamt:innen nehmen an mehreren internationalen Netzwerken teil, die sich mit Flucht und Migration befassen. Gemeinsam mit zivilgesellschaftlichen Gruppen verstärkte die Stadt ihre nationale Lobbyarbeit und schloss sich mit Amsterdam im Kampf um die Verfügbarkeit von Wohnraum zusammen. In Koalition mit mehreren niederländischen Städte verpflichtete sich die Stadt, unbegleiteten Minderjährigen Zuflucht zu gewähren.
Der Stadtreport enthält weitere Informationen über die Migrations- und Integrationspolitik der Stadt sowie ausgewählte lokale Ansätze. Report aus dem Jahr 2021, aktualisiert im Jahr 2023.
Die niederländische Asyl- und Integrationspolitik für Geflüchtete ist Teil einer komplexen, auf mehreren Ebenen angesiedelten Migrationspolitik. Die Einwanderungspolitik für Asylbewerber:innen und Geflüchtete ist zentralisiert. Bei der Integrationspolitik kam es zu mehreren Wechsel: 2007 wurde sie dezentralisiert, 2013 zentralisiert und ab 2022 soll sie wieder dezentral organisiert werden.
Die restriktive Wende in der niederländischen Asyl- und Migrationspolitik
Im Jahr 2019 machten Asylbewerber:innen knapp 6 Prozent der gesamten Einwanderung in die Niederlande aus. Trotz dieses relativ geringen Anteils sind die Notlage und die Rechte von Geflüchteten und ‘irregulären’ Migranten:innen in den Niederlanden zunehmend Gegenstand von Auseinandersetzungen zwischen nationalen und lokalen Behörden und eine Streitfrage zwischen den politischen Parteien auf nationaler Ebene. Einwanderung, Asyl und Integration stehen im Mittelpunkt eines Wandels von einer multikulturellen Politik hin zu einer restriktiveren nationalen Einwanderungs- und Integrationspolitik. Der Wandel resultiert aus dem wachsenden Rechtspopulismus und geht mit einer einwanderungsfeindlichen Rhetorik von Politiker:innen der extremen Rechten und der Mitte einher.
Im Ausland wird diese Rhetorik oft mit der rechtsextremen Freiheitspartei (PVV) von Geert Wilders in Verbindung gebracht, aber auch die zentristische Volkspartei für Freiheit und Demokratie (VVD) hat sich ihr verstärkt zugewandt: Laut ihrer Werbekampagnen möchte die Partei z. B. das Asylrecht aussetzen und sich von den Verpflichtungen aus der ‘überholten’ Flüchtlingskonvention lösen. Oppositionsparteien, Geflüchteten- und Menschenrechtsorganisationen betonen, dass dieser Rechtsruck schon vor der Jahrhundertwende begann: Neben der Verschärfung der Gesetzgebung wurde der kostenlose Rechtsbeistands für Asylbewerber:innen eingeschränkt, der Anspruch auf Sozialleistungen und -dienste an einen gültigen Aufenthaltsstatus gebunden und Einwander:innen wurden vermehrt inhaftiert.
Asylpolitik in den Niederlanden: Multi-Level-Governance in Schwierigkeiten
Obwohl die Zahl der Asylanträge zurückgegangen ist, sind Geflüchtete in den niederländischen Aufnahmezentren aufgrund des Mangels an Aufnahmeplätzen mit langwierigen Zeiten der Unsicherheit und restriktiven Bedingungen konfrontiert. Die langen Wartezeiten erschweren darüber hinaus die Inklusion von geflüchteten Personen. Verursacht wurde dieses Problem durch einen Personalmangel bei den Einwanderungsbehörden und einen angespannten Wohnungsmarkt.
‘Bürgerliche Integration’ und integrative Maßnahmen für anerkannte Geflüchtete
Die Niederlande brachten 1996 als eines der ersten Länder eine Politik der bürgerlichen Integration auf den Weg, die seitdem heftige Debatten auslöste und in den Jahren 2007, 2013 und 2020 zu neuen und geänderten Integrationsgesetzen überarbeitet wurde. Wissenschaftler:innen bezeichnen die niederländische Integrationspolitik als besonders restriktiv, da geflüchtete Personen für ihre ‘staatsbürgerliche Integration’ selbst verantwortlich sind. Die obligatorischen Sprach- und Orientierungskurse müssen innerhalb von drei Jahren absolviert werden.
Kommunale Beteiligung an der Inklusion – ein schwieriger Kampf?
Als das Integrationsgesetz von 2013 die bürgerliche Integration zentralisierte, hatten die Kommunen nur begrenzte Möglichkeiten, anerkannte Geflüchtete frühzeitig zu unterstützen. Geflüchtete Personen haben Anspruch auf ein verzinsliches Darlehen des Staates zur Deckung der Kosten der Integrationskurse, das ihnen, sofern sie ihr Integrationsdiplomen rechtzeitig erhalten, zurückerstattet wird. Sie müssen einen zertifizierten Sprachkurs finden, wobei viele Opfer von betrügerischen Schulen wurden. Der Übergang vom Leben in den Aufnahmezentren - mit nur eingeschränktem Zugang zur Arbeit und ohne große Entscheidungsmacht - zu einem selbstständigen Leben nach der Statusanerkennung ist extrem. Kommunale Akteure äußerten immer wieder Kritik an den Unzulänglichkeiten und Widersprüchen der niederländischen Integrationspolitik und am Fehlen eines kommunalen Mandats. Nach jahrelanger kommunaler Lobbyarbeit und verschiedenen kritischen Expertenberichten kündigte die niederländische Regierung eine Überprüfung der nationalen Asylpolitik an. Im Rahmen eines Konsultationsprozesses entwickelte und entwarf das Ministerium ein neues niederländisches Integrationsgesetz, das die bürgerliche Integration dezentralisiert und den Kommunen die Leitung überträgt. Die Umsetzung des neuen Integrationsgesetzes ist nach mehreren Aufschüben für den 1. Januar 2022 geplant.
Unterstützung für ‘irreguläre’ Migranten––Bett, Bad, Brot und mehr?
Untersuchungen in den Niederlanden zeigen, dass einige lokale Behörden nationale Maßnahmen, die ‘irreguläre’ Migrant:innen und abgelehnte Asylbewerber:innen betreffen, ‘abfedern’ oder sich ihnen widersetzen. Nach jahrelangen Unstimmigkeiten zwischen den niederländischen Städten und der Zentralregierung vereinbarte das Ministerium für Justiz und Sicherheit 2018 mit dem niederländischen Gemeindeverband die Entwicklung ‘nationaler Einwanderungseinrichtungen’ (LVVs). Das Ministerium, die Einwanderungs- und Rückführungsbehörden, die VNG und die Gemeinden Amsterdam, Rotterdam, Utrecht, Eindhoven und Groningen arbeiten gemeinsam an der Entwicklung von LVVs. Diese Übereinkunft stellt einen Wendepunkt in den Beziehungen zwischen den Städten und der Zentralregierung im Hinblick auf die Unterstützung ‘irregulärer’ Migrant:innen dar. Berichte zeigen jedoch, dass die Pilotkommunen und die Zentralregierung weiterhin unterschiedliche Ansichten und Erwartungen in Bezug auf die Ergebnisse des Pilotprojekts haben. Zusätzliche Spannungen und Konflikte sind daher zu erwarten.