Moving Cities
Über die Stadt

Potsdam

Eine Stadt vernetzt Orte in ganz Europa.

Wichtigste Erkenntnisse

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    Die Stadt steht deutschland- und europaweit an der Spitze der kommunalen Netzwerk- und Lobbyarbeit. Mit der Gründung des Bündnis ‘Städte sicherer Häfen’ inspirierte Potsdam viele andere Städte, sich aktiver für Geflüchtete einzusetzen.

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    Potsdam engagiert sich für die Reform des deutschen Aufenthaltsgesetzes, das den Kommunen bei der Aufnahme von aus Seenot geretteten Menschen mehr Handlungsspielräume zugesteht.

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    Die Stadt reformiert die eigene Ausländerbehörde um Diskriminierungen vorzubeugen. Zusammen mit der Zivilgesellschaft entwickelte Potsdam einen Leitfaden, demzufolge immer ein Aufenthaltsrecht erteilt werden soll, sofern dies rechtlich möglich ist.

Was ist das Besondere an der Stadt?

Eintreten für die Rechte von Geflüchteten: In Sachen Migrationspolitik ist Potsdam eine der progressivsten Städte in Deutschland und Europa. Seit 2015 setzte sich die Stadt lautstark für die Rechte von Migrant:innen ein und verbesserte die Lebensbedingungen von Geflüchteten vor Ort – vom vereinfachten Familiennachzug bis hin zum erleichterten Zugang zu Inklusionskursen. Darüber hinaus bemüht sich die Stadt mehr Geflüchtete aufzunehmen, indem sie die lokale Ausländerbehörde mit Hilfe von Kirchen, der Lokalgruppe der Seebrücke und anderen antirassistischen zivilgesellschaftlichen Akteuren reformiert.

Was sind die Schlüsselfaktoren?

Ein proaktiver Bürgermeister: Seit dem Mauerfall ist die Landeshauptstadt Potsdam linksliberal geprägt. Das jüngste Engagement des Bürgermeisters Mike Schubert und die Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Initiativen sind zwei weitere wichtige Faktoren für die Vorreiterrolle der Stadt in Sachen Migration.

Was sind die größten Erfolge?

Das Bündnis ‘Städte Sicherer Häfen’: Die ‘Potsdamer Erklärung’ und die anschließende Gründung des Bündnis “Städte Sicherer Häfen” im Jahr 2019 lösten einen produktiven Dialog mit dem deutschen Innenministerium aus. Im Juni 2021 organisierte die Stadt gemeinsam mit Palermo eine Bürgermeister:innenkonferenz und rief damit die erste internationale Allianz für sichere Häfen ins Leben. In der Stadt selbst sticht die Reformierung der diskriminierenden Ausländerbehörde in Kooperation mit der Zivilgesellschaft hervor.

Politische Arbeit über die lokale Ebene hinaus

Potsdam setzt sich für eine Reform des Aufenthaltsgesetzes ein und leistet damit deutschlandweit Pionierarbeit. Die Kommunen sollen laut Potsdam eine größere Rolle bei der Aufnahme von Geflüchteten spielen. Die Stadt gründete das Bündnis ‘Städte Sicherer Häfen’, dem Kommunen aus ganz Europa angehören. Das Bündnis übte politischen Druck auf die Bundesregierung aus und nahm erfolgreich einen regelmäßigen Dialog mit dem deutschen Innenministerium (BMI) auf, das für die geplante Reform zuständig wäre. Die ‘Potsdamer Erklärung’ ist das zentrale Dokument der Städtebewegung, die sich für die kommunale Aufnahme von Geflüchteten engagiert.

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Der Stadtreport enthält weitere Informationen über die Migrations- und Integrationspolitik der Stadt sowie ausgewählte lokale Ansätze. Report aus dem Jahr 2021, aktualisiert im Jahr 2023.

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Politischer Kontext - Deutschland

Politische Organisation

Die Zuständigkeit für Einbürgerung, Zuwanderung und die Aufnahme von Geflüchteten liegt grundsätzlich bei der Bundesregierung. Das ‘Bundesamt für Migration und Flüchtlinge’ (BAMF) gehört zum Innenministerium und bearbeitet die Asylanträge. Die Botschaften dagegen, die dem Auswärtigen Amt unterstehen, entscheiden über Einwanderungsanträge für die Arbeit, das Studium oder die Familienzusammenführung. In der Asylpolitik sind die einzelnen Bundesländer dazu verpflichtet, Bundesgesetze, wie das Asylbewerberleistungsgesetz, umzusetzen. Dabei haben sie jedoch einen gewissen Handlungsspielraum, was zu einer sehr unterschiedlichen Behandlung von Geflüchteten in den 16 Bundesländern führen kann. Die Länder können z.B. über Härtefallkommissionen humanitäre Aufenthaltsgenehmigungen erteilen, befristete Abschiebestopps beschließen oder sogar ganzen Gruppen eine Bleibeperspektive verschaffen. Die Bundesländer übergeben die Einzelfallentscheidungen in der Regel den örtlichen ‘Ausländerbehörden’ und die haben ihrerseits einen großen Spielraum, wenn es darum geht, ‘Abschiebehindernisse’ zu beurteilen oder Aufenthalte zu genehmigen oder zu verlängern.

Historischer Hintergrund

Die Vorstellung, Deutschland sei ‘kein Einwanderungsland’, prägte den politischen Diskurs nach dem Zweiten Weltkrieg jahrzehntelang, allerdings kollidierte dieses Selbstbild zunehmend mit der Realität: Bereits in den späten 1950er Jahren holte die Bundesregierung sogenannte ‘Gastarbeiter:innen’ aus Südeuropa nach Deutschland, um den Arbeitskräftemangel in den boomenden Industrien zu decken. Auch nach dem ‘Anwerbestopp’ 1973 blieben Millionen dieser Arbeitskräfte - entgegen der politischen Pläne - im Land, erhielten aber praktisch keine Integrationshilfe. Auch heute prägen sie die deutsche Gesellschaft, sind aber zugleich von Diskriminierungen betroffen, etwa beim Wahlrecht oder auf dem Arbeitsmarkt. Als nach dem Zusammenbruch des Ostblocks die Zahl der Asylbewerber:innen aus Osteuropa sprunghaft anstieg, beschloss der Bundestag 1992 weitreichende Einschränkungen des Asylrechts, was in Teilen Deutschlands eine Pogromstimmung schürte.

Die wichtigsten Entwicklungen der letzten Jahre

Der ‘Sommer der Migration’ 2015 markierte in mehrfacher Hinsicht einen Wendepunkt: Unter dem Druck der Fluchtbewegung ließ Deutschland die Ankunft von rund einer Million geflüchteter Menschen zu. Das enorme zivilgesellschaftliche Engagement im Aufnahmeprozess, das unter dem Schlagwort ‘Willkommenskultur’ bekannt wurde, ermöglichte es vielen geflüchteten Menschen, schneller als früheren Generationen, sozialen und wirtschaftlichen Anschluss zu finden. Die Politik etablierte eine Integrationsinfrastruktur mit umfangreichen Ressourcen, um Geflüchtete beim Spracherwerb, bei der Bildung und beim Einstieg in den Arbeitsmarkt zu unterstützen. Aber bereits 2016 schlug die Stimmung um, Politiker:innen beteuerten nun vor allem, dass sich ‘2015’ nicht wiederholen dürfe, und zahlreiche Gesetze verschärften seitdem die Asylpolitik. Am umstrittensten war der Versuch, eine mit dem Grundgesetz unvereinbare Obergrenze für die Aufnahme neuer Geflüchteter pro Jahr festzulegen. 2018 beschloss die Regierungskoalition aus CDU und SPD stattdessen einen unverbindlichen ‘Korridor’ von 180.000 bis 220.000 Aufnahmen pro Jahr. Allerdings hat Deutschland aufgrund der weitgehend geschlossenen EU-Außengrenzen in den letzten Jahren deutlich weniger Personen aufgenommen. Die deutsche Wirtschaft leidet parallel dazu seit fast einem Jahrzehnt unter einem Arbeitskräftemangel, der durch eine niedrige Geburtenrate und ein starkes Wirtschaftswachstum noch verschärft wird. Das Fachkräftezuwanderungsgesetz von 2020 gestattet daher in sehr begrenztem Maße die Zuwanderung von Arbeitskräften aus Ländern außerhalb der EU.

Was haben progressive Kampagnen erreicht?

Dank des Einsatzes von Migrant:innenorganisationen reformierte die damalige rot-grüne Regierung im Jahr 2000 das bestehende Staatsangehörigkeitsrecht: Ein in Deutschland geborenes Kind ausländischer Eltern erhält seitdem unter bestimmten Voraussetzungen automatisch die deutsche Staatsangehörigkeit – zusätzlich zur Staatsangehörigkeit seiner Eltern. Rund zehn Jahre später erkämpften Geflüchtetenorganisationen mittels jahrelanger Kampagnen eine deutliche Verbesserung des Asylrechts in Form partieller Aufhebungen und Lockerungen des ‘Asylkompromisses’ von 1993. Zu den schikanösen und entmündigenden Bestimmungen des ‘Asylkompromisses’ zählten die Verteilung von ‘Sachleistungen’ (z. B. Lebensmittelpakete) anstelle von Bargeld in Asylunterkünften und das Arbeitsverbot. Allerdings wurden einige dieser Verbesserungen 2016 wieder rückgängig gemacht. Ein weiterer progressiver Kampagnenerfolg war der Kurswechsel der deutschen Regierung hinsichtlich der europäischen Dublin-Verordnung, die Staaten an den europäischen Außengrenzen stark belastet. Während Deutschland lange Zeit zu den größten Befürwortern der Verordnung zählte, setzt sich die Bundesregierung seit 2014 für einen europäischen Verteilungsschlüssel ein. Auf zivilgesellschaftlicher Ebene haben sich zudem zahlreiche Initiativen gebildet: von lokalen Aufnahmebündnissen bis hin zu großen Seenotrettungs-NGOs.