Moving Cities
Über die Stadt

Valencia

Entwicklung eines ambitionierten Migrationskonzepts.

Wichtigste Erkenntnisse

  • 1

    Die Einrichtung der ersten Migrationsabteilung in Valencia im Jahr 2015 ermöglichte eine starke politische Unterstützung und Koordination in Migrationsfragen.

  • 2

    Migrant:innen, Migrant:innenverbände und NGOs sind nicht nur passive ‘Nutznießer:innen’, sondern dank der neu geschaffenen Partizipationsstrukturen als wichtige Akteur:innen eingebunden.

  • 3

    Die neue Verwaltung baute eine enge Zusammenarbeit zwischen der Regionalregierung, den lokalen Behörden und den Organisationen der Zivilgesellschaft auf.

Was ist das Besondere an der Stadt?

Von Null auf Hundert: Die progressive Regierung entwickelte 2015 einen ehrgeizigen Ansatz, der die Migrationspolitik von Grund auf erneuerte. Die Stadt vereinfachte bürokratische Verfahren und ermöglichte die Beteiligung von Migrant:innen und Organisationen der Zivilgesellschaft an politischen Prozessen. Dabei sind nicht nur die einzelnen politischen Pakete inspirierend, auch der gesamte Ansatz überzeugt. Aufgrund mangelnder Initiative der vorherigen konservativen Regierung gab es vor 2015 keine wirkliche Migrationspolitik. Im Mai 2023 wurde die progressive Regierung jedoch sowohl auf kommunaler als auch auf regionaler Ebene abgelöst. Auf regionaler Ebene regiert seitdem eine Koalition aus der konservativen PP zusammen mit der rechtspopulistischen Vox, was sich vermutlich negativ auf die solidarische Migrationspolitik auswirken wird.

Wo liegt der Schwerpunkt der lokalen Migrationspolitik?

Die Stadtverwaltung neu erfinden: Drei Elemente kennzeichnen den Ansatz Valencias im Bereich Migration:

  1. Nach Jahrzehnten konservativer Kommunalpolitik (1991-2015) schuf die neue progressive Stadtregierung die Abteilung für soziale Rechte und Inklusion. Zum ersten Mal umfasste sie auch ein Migrationsportfolio, das einen vereinfachten Einstieg in die komplexen und bürokratischen Prozesse der Migration und Inklusion schaffen sollte. Das Programm erhöhte die Sichtbarkeit und die politische Unterstützung für Migration.

  2. 2016 wurde eine neue Partizipationsstruktur ins Leben gerufen: Der Lokale Rat für Zuwanderung und Interkulturalität ist als beratendes und repräsentatives Gremium konzipiert und soll auch migrantische Stimmen in den politischen Entscheidungsprozess einbeziehen.

  3. Die Stadt wählte einen Multi-Level- und Multi-Akteur:innen-Ansatz, der die Zusammenarbeit zwischen der Regionalregierung, der Stadt Valencia, zivilgesellschaftlichen Organisationen und NGOs verbessert. Das Programm bündelt die Stimmen vieler Akteur:innen und fordert von der nationalen Regierung mehr Kompetenzen und Ressourcen auf lokaler Ebene ein, um Migrationsfragen wirksam bewältigen zu können.

Was können andere Akteur:innen von Valencia lernen?

Einbindung aller Interessengruppen in politische Prozesse: Valencias migrationspolitischer Ansatz ist mehrstufig: Ihn kennzeichnet eine beständige und flexible Zusammenarbeit zwischen der Regionalregierung (Generalitat Valenciana) und der lokalen Ebene. Die Stadt beteiligt sich aktiv an regionalen Programmen, Projekten und Initiativen, die darauf abzielen, den regionalen Stimmen in allen Aspekten der Migration Gehör zu verschaffen. Organisationen der Zivilgesellschaft werden zunehmend als wichtige Akteur:innen in die Gestaltung und Umsetzung der Migrationspolitik einbezogen. Einwander:innen engagieren sich auf lokaler Ebene im lokalen Rat für Einwanderung und Interkulturalität. Auf regionaler Ebene sind sie durch die Gemischte Kommission in die Entwicklung der valencianischen Migrationsstrategie 2021-2026.

Politische Arbeit über die lokale Ebene hinaus

Die offizielle Erklärung Valencias zur ‘Ciutat Refugi’ im Jahr 2015 war mit einem Besuch des Vizepräsidenten der Region und des Ministers für Gleichstellung und Integrationspolitik in Geflüchtetenlagern verbunden. Die starke Unterstützung der Zivilgesellschaft für Geflüchtete durch zahlreiche NGOs, Aktivist:innen, einzelne Familien, die auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise 2015 Wohnungen anboten, und eine Gemeinschaft von mehr als 8.000 Menschen zeugen von der offenen Haltung der Stadt gegenüber Geflüchteten. Zusammen mit anderen progressiven Städten, wie Barcelona und Madrid, ist Valencia ein Hauptakteur des Widerstands gegen die restriktive nationale Migrationspolitik. Gemeinsam formulierten die Städte mehrere Anfragen an die nationale Regierung und traten für mehr Ressourcen und Kompetenzen zur Bewältigung der Situation auf kommunaler Ebene ein.

Mitglied folgender Netzwerke

Kompletten Stadtreport herunterladen

Der Stadtreport enthält weitere Informationen über die Migrations- und Integrationspolitik der Stadt sowie ausgewählte lokale Ansätze. Report aus dem Jahr 2021, aktualisiert im Jahr 2023.

Bericht runterladen

Politischer Kontext - Spanien

Wie ist die Migrationspolitik in Spanien organisiert?

Die Steuerung der Migration erfolgt in Spanien auf mehreren Ebenen: Die nationale Ebene ist für die Einwanderung, Auswanderung, den Status von Ausländer:innen und das Asylrecht zuständig. Dennoch beeinflussen auch die Regionen und Städte die Inklusionspolitiken und die Aufnahme von Zuwanderern, da sie beispielsweise über den Zugang zu öffentlichem Wohnraum, Berufsausbildung und Gesundheit entscheiden. Die Städte registrieren alle Einwohner:innen, unabhängig von ihrem administrativen Status. Die Registrierung ermöglicht den Zugang zu grundlegendsten Dienstleistungen wie Gesundheit, Bildung und anderen Verwaltungsverfahren. Das Thema Migration ist also auch kommunalpolitisch von großer Relevanz.

Aus der Mischung von nationaler und regionaler Zuständigkeit ergeben sich viele Dysfunktionalitäten des spanischen Asylsystems. Planung und Regulierung sind stark zentralisiert, während NGOs, Wohlfahrtsverbände und lokale Behörden die Politik ohne koordinierende Strukturen umsetzen müssen. In Barcelona und Madrid, beides wichtige Aufnahmezentren für schutzsuchende Personen, tritt dieser Umstand besonders deutlich hervor.

Was ist der historische Hintergrund?

Als ehemalige Kolonialmacht blickt Spanien auf eine lange Auswanderungsgeschichte zurück. Durch den Wirtschaftsboom in den späten 1990er und frühen 2000er Jahren entwickelte sich die Nation zu einem Einwanderungsland. Während in den 1990er Jahren nur 1 % der Bevölkerung im Ausland geboren wurde, stieg diese Zahl bis 2010 auf 12,2 %. Doch erst nach der ‘europäischen Flüchtlingskrise’ im Jahr 2015 wandelte sich Spanien zu einem echten Zielland für Geflüchtete: Gingen in den Behörden 2014 nur 5.947 Asylanträge ein, waren es 2019 bereits 118.264. Die Schutzsuchenden kommen hauptsächlich aus Venezuela, Kolumbien und Honduras.

Spanien verabschiedete 1980 sein erstes Asylgesetz und 1985 das erste Ausländergesetz, im Rahmen seines EU-Beitritts ein Jahr später. Zu dieser Zeit wanderten jedoch nur wenige Menschen in das Land ein. Als sich Spanien in den 1990er Jahren zu einem attraktiveren Ziel für internationale Migrant:innen entwickelte, kam es zu umfassenderen legislativen Anpassungen: 1994 erschwerte ein neues Asylgesetz die Anerkennung des Flüchtlingsstatus. Zu Beginn des neuen Jahrtausends verabschiedete das Land ein zweites Migrationsgesetz. Es regulierte den Zugang zum Arbeitsmarkt und gestand allen im Land lebenden Migrant:innen Gesundheits-, Bildungs- und Sozialleistungen zu. Die Differenzierung zwischen Migrant:innen mit und ohne regulären Verwaltungsstatus führte jedoch zu Einschränkungen der sozialen und politischen Rechte einiger Gruppen. Ein weiteres Migrationsgesetz im Jahr 2003 erhöhte die Visumspflicht und erweiterte die Möglichkeiten, Migrant:innen ohne Papiere zu inhaftieren. Das jüngste Gesetz aus dem Jahr 2009 zielt darauf ab, die Migrationsströme so zu organisieren, dass sie dem Bedarf des Arbeitsmarktes entsprechen. Im selben Jahr erarbeitete die Regierung das dritte Asylgesetz. Es folgt weniger strenge Kriterien für die Gewährleistung von internationalem Schutz als das vorherige, die Umsetzung stellt jedoch aufgrund unklarer Richtlinien eine Herausforderung dar.

Was sind die wichtigsten Entwicklungen der letzten Jahre?

Die wirtschaftliche Rezession wirkte sich äußerst belastend auf die Situation von Migrant:innen im Land aus. Besonders hart traf der Abschwung die ‘irregulären’ Migrant:innen. Im Jahr 2012 schloss die konservative Regierung Migrant:innen ohne Papiere zusätzlich von der Gesundheitsversorgung aus. Die neue sozialistische Regierung hob diese Einschränkung im Jahr 2018 wieder auf. Neue Staatsangehörigkeitsgesetze verlangen neuerdings einen bestandenen Sprachtest von Nicht-Muttersprachler:innen und einen Geschichtstest von allen Antragssteller:innen. Die rechtsextreme Vox-Partei entwickelte sich zwischen 2018 und 2019 zu einer erfolgreichen Wahlkandidatin: Die Partei zog in mehrere Regionalregierungen ein und holte 52 Sitze (von 350) im spanischen Parlament. Ihr einwanderungsfeindlicher Kurs beeinflusst weiterhin die spanischen Migrationsdebatten.

Was haben progressive Kampagnen erreicht?

Die spanische Bewegung für solidarische Städte prangerte Mängel des spanischen Asylsystems an und forderte, dass zukünftig die Städte und nicht die Nationalregierung über die Aufnahme von Geflüchteten entscheiden sollten. Dafür verlangten sie zusätzliche finanzielle Mittel. Auf Demonstrationen 2015 und 2016 bekräftigten Basisorganisationen und Stadtbürger:innen in ganz Spanien diese Forderung gegenüber der Regierung. In den Städten und Gemeinden bildeten sich Freiwilligen-Netzwerke zur Aufnahme von Geflüchteten und die Bürgermeister:innen der spanischen Städte gründeten das Spanische Netzwerk für Flüchtlingsstädte. Das ‘Refuge City Network’ setzt sich für mehr Befugnisse und Finanzmittel auf kommunaler Ebene ein, da den meisten Grundbedürfnisse von Geflüchteten, wie Unterkunft, Ausbildung, Sprachkurse usw., lokal begegnet wird.